-„So ein schöner Tag!“
-„Was für ein herrliches Wetter! Zwei Wochen lang war kein Blau da oben zu sehen.“
Ich schlendere durch die Straßen von Nantes und im Vorbeischlängeln höre ich an allen Ecken solche Gespräche. Die Leute strahlen Lebensfreude aus, sie scheinen wie von einer wahren Last befreit. Manche sagen sogar, die Last des Lebens käme ihnen plötzlich leichter vor. Das Wetter war schon immer ein wichtiger Faktor für die Stimmung und das Fehlen von Sonne, Wärme und Licht beeinflusst den Charakter aller Lebewesen. Wir verändern instinktiv unsere Aktivitäten und richten uns unbewusst nach der Vorgabe des Himmels und der Luft. Und während sich viele freuen, dass in diesem trüben, zumeist trostlosen November endlich wieder blauer Himmel zu sehen ist, kann ich mich einer gewissen Angst nicht erwehren. Deshalb trete ich in die Pedale. Ich strample durch die Straßen und Viertel, ohne irgendwo anzuhalten, womöglich in dem Versuch, einen Vorwand für meinen rasenden Herzschlag zu finden, einen für mich annehmbaren Grund für die Erschöpfung meiner Sinne.
In Wahrheit bin ich überhaupt nicht beruhigt. Ich bin überhaupt nicht besänftigt durch den plötzlich aufreißenden Himmel, der die Temperatur unerwartet um mehr als zehn Grad ansteigen lässt, der mich aus meinem für die Jahreszeit bereits zu dünnen Pullover schlüpfen lässt. Und so radle ich wie wild durch die Stadt, mitten im November im T-Shirt, im Slalom um die strahlenden Passanten. Die wärmeren Grade alarmieren mich. Diese Sonne überfordert mich, sie erschöpft meine Iris, die die Intensität unseres vergessenen Gestirns bereits nicht mehr gewohnt ist.
Erstickt. Ich fühle mich erstickt, gefangen durch die große Stadt. Plötzlich bin ich nicht mehr am richtigen Ort. Meine Anwesenheit in der Stadt verliert ihren Sinn. „Es ist Sommer, oder Frühling, was weiß ich!“, rufen mir alle meine Sinne zu. Ich sollte nicht in der Stadt sein. Ich sollte auf den Feldern sein, zum Pflanzen oder Ernten, auf einem schönen Segelboot über das Meer gleiten, in Bergen und Gezeiten entschlacken, keinesfalls sollte ich an diesem Zufluchtsort für den Winter sein, überall Beton, einem Ort, der die Sinne ausschaltet und betäubt wie der Frost, der auf sich warten lässt. Denn die Sinne warten. Die Sinne warten auf eine Ruhe, eine Verschnaufpause.
Wir können immer kompliziertere Worte finden, die uns immer weiter von dem entfernt erscheinen, was wir fühlen. Aber genau so fühle ich mich heute. Und es ist schwer, Worte zu finden und die verstreuten, flüchtigen Gefühle zu verstehen, die mich durchdringen und mich strafen, indem sie jeden Gedanken an Freude in mir verwerfen. Wenn man mich fragt, wie es mir geht, mit einem Gesicht, das offenbar in ihrer aller Augen „unter dem Grau gelitten hat“, wage ich es nicht, die Wahrheit zu sagen.
-Mir geht es schlecht, weil das Wetter schön ist.
Nein, nein, du musst dir andere Ausreden einfallen lassen, sicher nicht diese. Und doch ist es so. Eine Unfähigkeit, dieses Geschenk des Himmels zu fühlen, diese milde Luft, dieses Wetter, das zum Müßiggang, zum Herumwandern mit Freunden einlädt. Ich habe das Gefühl, ausgeschlossen zu sein von der allgemeinen Stimmung, die in der Luft liegt, völlig aus dem Takt geraten, aber vielleicht bin ich das genauso wie die Erde selbst? Vielleicht liegt in dieser Sanftheit eine gewisse Verbitterung...
Die Klimapsychologie ist ein Bereich der Psychologie, der dabei hilft, sich mit jenen zu versöhnen, die in unseren Augen der Erde mehr schädigen als wir selbst. An alle, die zu schnell und zu oft mit dem SUV fahren, fliegen oder bei McDonald's essen …: Ich kann all die Schäden, die der Erde zugefügt werden, erleben und spüren, ohne es euch, wie ich vermutet hätte, anzulasten.
Aus Sicht der Klimapsychologie betrachtet, sind wir alle krank. Unsere Beschwerden äußern sich auf vielfältige Weise und nehmen manchmal unerwartete Formen an. Sucht und Konsum sind das Ergebnis desselben Unverständnisses für das Verhalten der Erde angesichts unserer Praktiken, die sie schädigen. SUV fahren und Überkonsum sind nur Ausdruck dieses Unbehagens. Wir sitzen alle im selben Boot, auch wenn wir glauben, echte Feinde zu haben. Vielleicht sind es nicht die, die wir dafür halten.
Solastalgie erleben junge Menschen in erheblichen Maßen und es ist ein immer stärker werdendes Gefühl angesichts der klimatischen Unwägbarkeiten, der sich steigernden Kettenreaktionen der Erde.
Oft wird es von einer Starre begleitet, von einer Unfähigkeit zu reagieren auf diese Feststellung, die nicht alarmierender sein könnte. Zum Glück sind wir nicht allein. Und wenn dieses Gefühl die Form eines eigenen Leidens annimmt, darf man nicht denken, man sei damit allein! Schuldgefühle, Frustration, Ärger, das Leiden selbst, all diese Übel können kleine oder große Gesten beeinflussen, Versammlungen, ja, versammeln wir uns! Sprechen wir über das, was uns bewegt und schadet, im Rhythmus der Erde, und handeln wir, finden wir einen Sinn in diesem Leben, das überall auf der Welt gebeutelt ist! Der Mensch hatte schon immer eine beachtliche Fähigkeit, Verbindungen zwischen verschiedenen Arten zu erhalten. Obwohl wir ein empathischer und opportunistischer Räuber sind, haben wir Raubtierfähigkeiten entwickelt und Beziehungen zu mehreren hunderttausend Arten, Pflanzen ebenso wie Tiere, gepflegt. Heute, im Zeitalter der Monokultur und Waren, und zwischen unseren Gängen zum Supermarkt, haben wir das vergessen.
Gehen wir aus dem Haus und klappen die Bücher zu! Versuchen wir, eine Sprache zu sprechen, die nicht nur zu Menschen spricht.
Der 23-jährige Student Valère Leray arbeitet unter anderem mit einem Verlag für Anthropologie zusammen.