Frankreich und Deutschland: 2 verschiedene Fälle

Ich habe mir vorgenommen, mich mehr damit auseinanderzusetzen, und dafür meine gesamte journalistische Arbeit zu diesem Thema zu hinterfragen. Seit vier Jahren arbeite ich in diesem, wie ich finde, schönsten Beruf der Welt. Und seit Oktober 2022 bin ich Deutschland-Korrespondentin für französischsprachige Medien, was schon immer mein Traum war. Aber die alltäglichen Themen sind nicht immer erfreulich, und die extreme Rechte ist in meiner Arbeit sehr präsent.

Vor meinem Umzug nach Berlin habe ich für die ARD in Paris gearbeitet. Das bestimmende Thema meiner Arbeitstage war natürlich der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2022. Da war nur logisch, dass ich im Januar, einige Monate vor der Wiederwahl von Emmanuel Macron, entschied, die extreme Rechte auf der Zielgeraden dieses Wahlkampfes zu beobachten. Damals wurde ich mit vielen anderen Journalisten in eine WhatsApp-Gruppe des Kommunikationsteams von Marine Le Pen aufgenommen. Wir erhielten dort Stellungnahmen auf wichtige Ereignisse und Einladungen zu Reisen der Präsidentschaftskandidatin. Nachdem ich mit der Pressechefin des Rassemblement National einige SMS, E‑Mails und Anrufe ausgetauscht hatte, begann sie, mich zu duzen. Sehr befremdlich. Wenn wir uns sahen, nannte sie mich bei meinem Vornamen, „Salomé“. Heute würde sie mich auf der Straße sicher nicht mehr erkennen. Aber dank dieses „vereinfachten“ Zugangs und des ständigen Austausches während des Wahlkampfs konnte ich ein Interview unter vier Augen mit Marine Le Pen organisieren, was für ausländische Medien wirklich schwierig ist, vor allem in Wahlkampfzeiten. Aber ist es das wert? Eine Antwort habe ich darauf bis heute nicht.

Es gab keine Klüngelei, nie und zu keiner Zeit. Aber da wir leichter Zugang zu Informationen hatten, konnten wir im deutschen Fernsehen regelmäßiger über den RN berichten.

Als Korrespondentin in Deutschland

Seit ich in Berlin bin, ist die Situation eine andere. Es ist schwieriger für mich, an Informationen über die AfD zu kommen und Akkreditierungen zu Veranstaltungen zu bekommen. Das liegt aber sicherlich vor allem daran, dass die Presseabteilung der Partei mich als Freiberuflerin nicht als so zentral ansieht. Dennoch ist es mir gelungen, Zugang zu erhalten. Mehrfach konnte ich über Veranstaltungen der AfD berichten.

Aber bei einem Dreh in Thüringen im Vorfeld der Europawahl im Juni brauchte ich trotz Akkreditierung viel Geduld, um auf eine Wahlkampfveranstaltung von Björn Höcke zu gelangen. Ich war mit einer Kollegin einer französischen Nachrichtenseite auf Durchreise durch das Bundesland, und der Sicherheitsdienst der Veranstaltung weigerte sich zunächst, uns einzulassen, da wir „nicht das Volk sind“. Schließlich war es ein AfD-Abgeordneter, den wir kurz zuvor interviewt hatten, der uns einließ und uns so ermöglichte... unsere Arbeit zu machen. 

Filter der extremen Rechten

Das ist das Problem mit der extremen Rechten: Sie haben Filter, die Journalisten daran hindern, ihre Arbeit zu tun. Wenn ihnen nicht passt, was wir sagen – oder sogar, wofür wir stehen, – dann tschüss.

Ist der Kontakt hingegen unkompliziert und man ist „nett“ zu den Pressesprechern, stehen einem die Türen offen.

Ich stecke bei der Frage in einem inneren Konflikt. Einerseits ist es ganz normal, dass Journalisten Quellen haben, die ihnen den Zugang zu Informationen ermöglichen. In einer Demokratie ist das sogar unerlässlich. Eigentlich würde ich gerne sagen, ganz egal welche Quelle. Aber das lässt sich nicht auf dieses Umfeld anwenden, vor allem, wenn man den politischen Raum verlässt und es um militanten Rechtsextremismus geht.

Es ist ein unendlicher Konflikt für mich, etwa, wenn ich aus Gesprächen mit AfD-Mitgliedern komme oder wenn ich meine beruflichen E-Mails an diese Quellen mit „freundlichen Grüßen" unterschreibe. Persönlich möchte ich keine Verbindung zu diesen Personen haben. Für meinen Beruf ist es unerlässlich. 

Die Proteste im Januar

Im Januar war die Situation umgekehrt. Die Deutschen gingen auf die Straße, um gegen die AfD zu protestieren, als bekannt wurde, dass die Partei über Massendeportationen von Ausländern und Menschen mit ausländischen Wurzeln spricht. So etwas ist hier nicht hinnehmbar. Nach

aktuellen Zählungen gingen im ersten Halbjahr 2024 fast drei Millionen Menschen in deutschen Städten auf die Straße. Ein Rekord. Und ein außergewöhnliches Ereignis, über das Journalisten aus aller Welt, zu denen ich gehören durfte, berichteten. Und wie immer stellt sich auch da die Frage der Neutralität. Wie kann man Menschen in diesem Kontext befragen? Sollte man auch mit der Gegenseite sprechen? Ich denke nicht.

Dieser gesellschaftliche Elan hat auf jeden Fall gutgetan, mitten im Berliner Winter – und das, während in Frankreich die Wahlschlacht um die Europawahl begann. Ich hoffe, dass französische Hörer, Leser und Fernsehzuschauer angesichts der Demonstrationen in Deutschland ihre eigene Haltung zur extremen Rechten hinterfragen konnten... Und dass wir Journalisten sie angemessen darüber informieren konnten, durch was die öffentliche Meinung auf die Seite der Demokratie kippen kann.

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Salomé Hénon-Cohin ist 27 Jahre alt und wohnt in Berlin, wo sie als Korrespondentin für französischsprachige Medien sowie für eine lokale Nachrichtenseite arbeitet. Nach einem deutsch-französischen Studium und einem Master in Journalismus, die sie 2021 anschloss, zog sie aus ihrer Heimat Frankreich nach Deutschland. Gelegentlich erstellt sie für das DFJW Informationsvideos für die sozialen Netzwerke.

Salomé Hénon-Cohin
freiberufliche Journalistin