Von Paris (Frankreich) bis Sarajevo (Bosnien und Herzegowina) über München (Deutschland), Wien (Österreich), Zagreb (Kroatien) und Banja Luka (Bosnien und Herzegowina) haben wir uns auf die Spuren der Erinnerungen an die Kriege in Europa von 1914 bis heute begeben. Dieselben Ereignisse, die auf 3 verschiedene Arten und aus 3 verschiedenen Blickwinkeln gelehrt wurden. Historisch, kulturell, sprachlich und menschlich: Diese Entdeckungen und das Wissen ist für immer in unserem Gedächtnis verankert.
Der Austausch begann am 9. Oktober 2023 in Paris. Wir trafen uns in der Ermitage in Versailles. Ja, direkt neben dem Schloss von Versailles! Wir nahmen unsere erste Mahlzeit gemeinsam ein und lernten uns kennen. Ich hatte Angst davor, ständig Englisch zu sprechen, aber nach einer kleinen Eingewöhnungsphase, wo ich noch nach Worten suchte, war alles in Ordnung. Unsere Gespräche wurden im Laufe der Zeit immer flüssiger. Da ich zunehmend in die Sprache eintauchte, konnte ich mich sehr verbessern.
Beim „Eisbrecher“ lernten wir uns mit Anekdoten und Zeichnungen besser kennen. Und vor allem erfuhren wir mehr über das Programm der nächsten Tage.
Unsere Betreuer:innen stellten sich vor. Morgane, Anne, Jan und Milicia haben uns auf der ganzen Reise begleitet. Dank ihrer Organisation und ihrer zugewandten Art konnten wir diese Erfahrung in vollen Zügen genießen.
Auch Referent:innen waren ab und zu dabei. Sie haben uns viel beigebracht. Ihre stets interessanten und so unterschiedlichen Workshops haben uns zum Nachdenken über die Herausforderungen in der Erinnerungsarbeit gebracht.
In Paris konzentrierten wir uns auf den Ersten Weltkrieg, besuchten unter anderem den Triumphbogen und verglichen die Schulbücher der verschiedenen Länder über diese Zeit. Auch wenn sich die Hauptereignisse nicht unterscheiden, ist die Perspektive sehr unterschiedlich. In Frankreich haben wir uns mit den Lebensbedingungen in den Schützengräben und dem Leben der Französinnen und Franzosen während des Krieges befasst. In Bosnien beschäftigt man sich viel mehr mit der Ermordung von Franz Ferdinand.
Anschließend fuhren wir mit dem Zug nach München. Hier widmeten wir uns dem Zweiten Weltkrieg. Wir besuchten das NS-Dokumentationszentrum über den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und den Widerstand, der sich innerhalb des Landes organisiert hatte. Dann folgte leichtere Kost: Wir probierten Apfelstrudel, echt lecker! Der Abend endete gemeinsam mit Amerikaner:innen bei Karaoke zu Taylor Swift und Daniel Balavoine. Spätestens hier stand fest: Unsere Freundschaft war besiegelt.
In München besuchten wir auch ein ungewöhnliches Theaterstück. Es war aufgeteilt in zwei Akte und wurde von zwei Gruppen gespielt, die sich zuvor noch nie begegnet waren. Eine Gruppe kam aus der Ukraine, die andere aus Russland. Diese Aufführung wird mir lange im Gedächtnis bleiben. Das Thema ist so schmerzhaft, und es war erschreckend, wie nah der Krieg auf einmal war. Die meisten von uns weinten. Wir sprachen erst am nächsten Tag darüber, um das Gesehene zu verarbeiten und um ein wenig Abstand zu gewinnen.
Wien und seine umstrittenen Denkmäler boten interessante Denkanstöße für einen differenzierten Blick auf Erinnerungsarbeit in einem Land und in einer Stadt. Es war sehr bereichernd, die Einheimischen zu diesem Thema zu befragen. Zum Glück halfen uns unsere deutschen Freund:innen. Das machte den Austausch viel einfacher.
Wir sind nur eine Nacht in Zagreb geblieben. Viele gingen aus, um die Stadt bei Nacht kennenzulernen.
Dann fuhren wir mit dem Bus nach Banja Luka. Es war das erste Mal, dass mein Pass gestempelt wurde und ich die Europäische Union verließ!
Auf dem Weg dorthin hielten wir am Konzentrationslager Jasenovac an. Vom Lager selbst ist nichts mehr übrig. Heute steht dort ein Denkmal in Form einer Lotusblüte, um die Männer, Frauen und Kinder zu ehren, die hier interniert und von den gefürchteten Nazis grausam abgeschlachtet wurden. Wir besuchten das eigens zu ihrem Gedenken errichtete Museum. Sich unter den Namen all dieser Toten wiederzufinden, die in einer Decke aus Glas eingraviert sind, ist eine schmerzhafte Erfahrung. Wichtig, aber schmerzhaft.
In Banja Luka angekommen, erklärte uns Milicia (sie kommt von dort), wie die Stadt wiederaufgebaut wurde und warum Sarajevo zwar die Hauptstadt, der Regierungssitz aber in Banja Luka ist. Obwohl wir durch ein besonders zutrauliches Kätzchen abgelenkt waren, hörten wir aufmerksam zu.
Dann ging es zurück in den Bus und weiter zu unserer letzten Station, Sarajevo. Wir konnten nicht fassen, wie schnell die Reise vergangen war. Es fühlte sich an, als würden wir uns schon ewig kennen.
Dank unseres Reiseführers erfuhren wir viel über die Belagerung von Sarajevo und die Ermordung von Franz Ferdinand. Der Besuch im „War Childhood Museum“ war bedrückend. All die Berichte von so jungen Kindern zu lesen, die diese schrecklichen Erfahrungen machen und in ständiger Angst leben mussten, war hart. Dass unsere bosnischen Freund:innen das zum Teil selbst oder ihre Eltern das erlebt haben, bringt einem das Ganze noch näher.
Im letzten Workshop ging es um Theater, einfach magisch. Ich gehe gern auf Reisen, aber die Bühne fehlte mir. Und obwohl es nur ein paar stille Szenen waren, hat es mir sehr gut getan.
Und schon war es Zeit, „Tschüss“ zu sagen. Wir haben geweint, uns umarmt und versprachen, miteinander in Kontakt zu bleiben. Und dann fuhren wir alle zurück in unseren kleinen Teil von Europa.
Ich hatte große Bedenken. Sehr große sogar. Normalerweise fühle ich mit in einer Gruppe nicht besonders wohl. Aber diese hatte das gewisse Etwas, in der ich mich zuhause gefühlt habe. Einige von uns sind immer noch in Kontakt und kommunizieren regelmäßig.
Dieser Austausch hat mir Lust auf mehr gemacht, wie zum Beispiel mit dem Französisch-Quebecischen Jugendwerk diese Woche. Natürlich war das, was wir erlebt haben, außergewöhnlich und selten, aber ich habe keine Angst mehr.
Also, worauf wartest du noch?