Seit 2004 gilt der 22. Januar als der „Deutsch-Französische Tag“. Diese Entscheidung geht auf das Datum zurück, an dem der Élysée-Vertrag unterschrieben wurde. An diesem Tag (oder um diesen Tag herum) führen Grund- und Sekundarschulen in Deutschland und Frankreich Diskussionsrunden, deutsch-französische Begegnungen und Entdeckungstage durch. Organisiert werden diese Tage vom DFJW, den Goethe-Instituten und Instituts français sowie von Vereinen für Deutsch- und Französischlehrkräfte. Sie können sehr unterschiedlich gestaltet sein. Ziel ist es, Schüler:innen zu vermitteln, wie sie vom großen Netzwerk der deutsch-französischen Beziehungen profitieren können, um im Nachbarland an Sprach-, Kultur- oder Freizeitaufenthalten teilzunehmen, dort zu studieren oder sogar eines Tages dort zu arbeiten. Außerdem sollen sie Lust bekommen, andere junge Menschen aus dem Nachbarland kennenzulernen und vielleicht sogar ihre Sprache zu lernen. Oft werden Familien eingeladen oder gestalten dieses besondere Ereignis sogar mit. Auch Schulen greifen den Tag thematisch auf. Sie können ihn frei gestalten und dabei oft von lokalen Partnerschaften wie etwa bei Unternehmensbesuchen profitieren.
2023 stand der Deutsch-Französische Tag im Zeichen des 60. Jahrestags des Élysée-Vertrags, aber auch im Kontext des Kriegs Russlands in der Ukraine. Schüler:innen setzen sich mit den Themen „France et Allemagne. Unies pour la paix / Deutschland und Frankreich – für den Frieden vereint“ auseinander. Die:Der französische Bildungsminister:in und die bzw. der deutsche Bevollmächtigte der deutsch-französischen Bildungs- und Kulturbeziehungen nutzen die Gelegenheit oft, um sich über die Vermittlung der Nachbarsprache im eigenen Land auszutauschen. Sprachlehrkräfte beider Länder stellen den Schüler:innen Möglichkeiten für Sprach- und Studienaufenthalte im Nachbarland vor.
Es ist durchaus interessant, auf die Ursprünge der Einführung dieses Tages vor über 20 Jahren zurückzublicken. Eigentlich werden 40-jährige Jubiläum selten mit großem Aufwand gefeiert. Doch nach einer Zeit großer Spannungen um die Jahrtausendwende, in der es um das Gewicht Deutschlands und Frankreichs im neuen, sich erweiternden Europa ging, haben Berlin und Paris ihre „Versöhnung“ im großen Stil inszeniert. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch ihr gemeinsames Nein zu einem Militäreinsatz an der Seite der USA in Irak.
Die Feierlichkeiten fanden symbolisch am 22. Januar 2003 im Schloss von Versailles statt, um die Versöhnung nach den Wunden der Vergangenheit besser zu verdeutlichen. Mit der Ausrufung des Deutschen Reiches 1871 und der Unterzeichnung des Versailler Vertrags 1919 im Spiegelsaal stand der Ort für das doppelte Trauma auf deutscher und französischer Seite. Während alle Regierungsmitglieder und Abgeordneten als Volksvertreter:innen nach Versailles eingeladen worden waren, wurde das DFJW mit der Organisation eines „Deutsch-Französischen Jugendparlaments“ in Berlin beauftragt. Die Nachwuchs-Parlamentarier:innen machten eine Reihe von Vorschlägen, von denen zwei sofort von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Jacques Chirac aufgegriffen und zügig umgesetzt wurden: Der erste war die Erstellung eines gemeinsamen deutsch-französischen Lehrbuchs über die Geschichte Europas und der Welt von den Anfängen bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Das Buch Histoire / Geschichte wurde von einem deutsch-französischen Team konzipiert und verfasst. Die drei Bände erschienen in beiden Sprachen in den Jahren 2006, 2008 und 2011. Es wird oft für seine historiographische Qualität und seine pädagogischen Entscheidungen gelobt. Leider wird das Lehrbuch in den Schulen außerhalb der AbiBac- und Europaklassen kaum verwendet. Der zweite Vorschlag war, den 22. Januar zum Deutsch-Französischen Tag zu machen; er wurde im darauffolgenden Jahr eingeführt.
Mit dem Deutsch-Französischen Tag soll die ganze Gesellschaft und insbesondere die Jugend an der großen Erzählung der Versöhnung teilhaben. Die Menschen sollen zugleich in den Austausch und die bilaterale Freundschaft einbezogen werden. Es geht auch darum, ein Bewusstsein bei jungen Bürger:innen mit Blick auf ihre Verantwortung für die Zukunft dieser Beziehung zu schaffen. Der Deutsch-Französische Tag ist im Schulsystem beider Länder etabliert, aber er durchdringt die Gesellschaft noch viel tiefer. Das belegen die an den Deutsch-Französischen Bürgerfonds gerichteten Anträge auf Projektfinanzierung von verschiedenen Vereinen, Partnerschaftskomitees und engagierten Einzelpersonen mit unzähligen und vielfältigen gesellschaftlichen Initiativen. Sie spiegeln das dichte und lebendige deutsch-französische Netzwerk wider und geben zugleich Aufschluss über die Sorgen der Bürger:innen in beiden Ländern angesichts der internationalen Lage und der Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen und Europas.