IDéAl - Immersion - Défi (Herausforderung) - Alterität
Welche Herausforderungen stellen sich Kindern und Jugendlichen mit Migrationsgeschichte in Deutschland und Frankreich? Bei welchen Institutionen finden sie Unterstützung?
Allgemeiner Kontext der Aktionsforschung
Alle Menschen erleben in vielfältigen Kontexten die Begegnung mit anderen Kulturen und Sprachen. Migrations- oder Exilsituationen erweisen sich als geeignet, um über eine Problematik nachzudenken, die ihnen trotz ihrer großen Vielfalt gemein ist.
Die Aufnahme von Kindern, Jugendlichen und Familien aus aller Welt setzt voraus, dass durch die Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen in Deutschland und Frankreich spezielle Strukturen konzipiert und eingerichtet werden.
Die Aufnahmekontexte sind komplex, vielfältig und verändern sich. Sie hängen sowohl mit der kollektiven als auch mit der individuellen Geschichte der einzelnen Personen und der professionellen und institutionellen Akteure zusammen. Migrationsgeschichten gehen nicht selten einher mit Gewalt, Prekarität und Trauma. Allerdings können sich durch die Ankunft in einem Aufnahmeland auch neue Perspektiven eröffnen, Möglichkeiten auftun und Vorstellungswelten entfalten.
Jede Sprache ist mit einem kulturellen Hintergrund verwoben. Sprache ist daher einerseits mit einer sehr persönlichen emotionalen Erfahrung verbunden. Andererseits ist sie in ihrer kommunikativen Bedeutung in erster Linie funktional, zweckdienlich und ermöglicht es, mit dem Anderen in Kontakt zu treten. Eine neue Sprache zu lernen ist sowohl in emotionaler als auch in kognitiver und sozialer Hinsicht ein sehr wichtiger Prozess für Kinder, Jugendliche und Familien.
Die Traditionen der Mehrsprachigkeit unterscheiden sich allerdings in unseren beiden Ländern, [BAA1] ebenso wie die Form der Migration im Laufe der Zeit – mal erfolgt sie beständig, mal in Etappen.
In gleicher Weise unterscheiden sich die Ziele der Aufnahmestrukturen in Deutschland und Frankreich. Auch die politische (und ideologische) Zielrichtung – Inklusion, Integration, Assimilation oder auch Akkulturation – ist bei der Analyse zu berücksichtigen.
Ziele des Aktionsforschungsprojekts
Bei diesem Projekt der interdisziplinären Aktionsforschung sollen Psycholog:innen, Sozialpsycholog:innen, Lehrkräfte sowie Sprach- und Erziehungswissenschaftler:innen zusammenkommen, um die Verfahren und Auswirkungen der Immersion in eine Sprache, die nicht die Herkunftssprache ist, bei Kindern und Jugendlichen, anderssprachigen Einwanderer:innen sowie Neuzuwanderer:innen zu untersuchen.
Unsere Ziele für den dreijährigen Projektzeitraum lauten wie folgt:
- Erforschung der Mittel, anhand derer sich erkennen lässt, dass man für den Anderen der Andere ist.
- Erkundung der Transitions-/ Verbindungsfunktion von Sprache.
- Erfassung der Maßnahmen, wie der Spracherwerb bei Kindern und Jugendlichen begleitet werden kann.
- Selbsterfahrung als Lehrkraft oder Wissenschaftler:in – Was bedeutet der Bezug zu einer anderen Sprache?
Konzeption und Fortschritt / Methodik
Um die Herausforderungen der Begegnung mit der Sprache des Anderen zu erforschen, haben wir verschiedene Austauschformate konzipiert: auf Ebene der Wissenschaftler:innen, auf Ebene der Kinder, Jugendlichen, Familien, auf Praxisebene vor Ort. Darüber hinaus ist von Interesse, wie sich die einzelnen Ebenen beeinflussen und zusammenwirken (Wissenschaftlerkollektiv).
Ausgehend von einem ethnographischen Ansatz werden die zehn beteiligten Wissenschaftler:innen einzeln und im jeweiligen Land eine erste Bestandsaufnahme erstellen, um die betreffenden Strukturen in Deutschland und Frankreich auszumachen und in Kontakt mit ihnen zu treten.
Zur Erfassung der verschiedenen Aufnahmemodelle und -modalitäten von anderssprachigen Kindern und Jugendlichen werden wir Beobachtungen und Gespräche mit verschiedenen Akteuren durchführen.
In einem zweiten Schritt werden die französischen Wissenschaftler:innen aus Frankreich eingeladen, Wissenschaftler:innen aus Deutschland zu beobachten und Gespräche mit ihnen zu führen. Umgekehrt werden die Wissenschaftler:innen aus Deutschland Akteure aus Frankreich beobachten und Gespräche mit ihnen führen.
Fachkräfte aus der Praxis, werden sich auf verschiedene Weise einbringen können:
- durch die Aufnahme der Wissenschaftler:innen für Beobachtungen der Klassen und Gespräche,
- durch mehrtägige Aufenthalte in Deutschland und Frankreich, bei denen sie Beobachtungen zu Sprachaustausch und Interaktionen anstellen,
- durch die Organisation eines einwöchigen deutsch-französischen Austausches der gesamten Klasse (Schüler:innen + Lehrkräfte),
- durch einen einjährigen Austausch, um im anderen Land zu unterrichten.
=> Bilaterale Treffen, z. B. in Form von Forschungsseminaren, werden abwechselnd in Deutschland und Frankreich abgehalten. Sie werden jährlich stattfinden. Die teilnehmenden Fachkräfte aus der Praxis können sich über ihre Erfahrungen mit dem Forschungsteam austauschen.
Ein Kolloquium mit allen Akteuren wird am Ende des Projekts stattfinden.
Veröffentlichungen
Die Aktionsforschung geht davon aus, dass die Strukturen gemeinsam gestaltet, die Ergebnisse gemeinsam erarbeitet und die Verfahrensweisen (aus der Arbeit vor Ort und der Forschung) umgesetzt werden.
Verschiedene Formen von Veröffentlichungen sind für die Gesamtheit der Akteure (Kinder, Jugendliche, Fachkräfte aus der Praxis, Wissenschaft etc.) geplant.
In den verschiedenen Phasen wird es Veröffentlichungen in beiden Sprachen geben und diese können dann bei Fortbildungen als Referenzmaterialien genutzt werden.
Deutsch-französisches Team
Zum Forschungsteam gehören:
- Christiane Montandon, Professorin für Erziehungswissenschaften, Université Paris Est Créteil, UPEC, LIRTES
- Aurélie Maurin Souvignet, Professorin für klinische Psychologie und Soziopsychologie, Université Sorbonne Paris Nord, USPN/UTRPP
- Anna Kochanova, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Freie Universität Berlin
- Jade Tognet, Doktorandin, Co-Promotion bei Muriel Bossuroy
- Joana Sampaio Primo, Doktorandin Ko-Promotion bei d'Aurélie Maurin Souvignet
- Marianne Krüger-Potratz, Professorin für Erziehungswissenschaft, Universität Münster
- Muriel Bossuroy, Professorin für interkulturelle klinische Psychologie, Université Sorbonne Paris Nord, USPN/UTRPP
- Prof. Dr. Natascha Naujok, Sprache und Kommunikation, Evangelische Hochschule Berlin
- Silvia Melo-Pfeifer, Professorin für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg
- Serafina Morrin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Katholische Hochschule für Sozialwesen, Berlin
- Yaelle Malpertu, Professorin für interkulturelle klinische Psychologie, Université Amiens/CRP-CPO
Dieses Team wird durch zahlreiche institutionelle Partner ergänzt. Dadurch können die Wissenschaftler:innen sich in verschiedenen Bereichen einbringen und mit zahlreichen teilnehmenden Akteuren zusammenarbeiten.
Am 4. und 5. Juli 2024 fand an der Universität Hamburg das erste binationale Tagungstreffen des IDéAL-Aktionsforschungsprojekts statt, an dem eine Reihe von (Sozial-)Psycholog:innen, Lehrpersonen, Erziehungswissenschaftler:innen und Linguist:innen, die im Projekt mitarbeiten, teilnahmen.