I. Zielgruppe und pädagogische Ziele
Die Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen im Rahmen von mehrtätigen Jugendbegegnungen wurde in unserer Gruppe anhand der Epoche des Ersten Weltkrieges diskutiert. Wir gingen davon aus, dass die etwaigen TeilnehmerInnen einer Jugendbegegnung über keine detaillierten Vorkenntnisse verfügen würden und die Organisatoren insofern bemüht sein müssten, Lernkontexte zu schaffen, in denen die Jugendlichen neue und eigene Erfahrungen machen können. Der von uns gewählte Ansatz favorisiert eine multiperspektivische Herangehensweise und fördert das selbst-entdeckende Lernen. Die Jugendlichen sollen durch die Jugendbegegnung lernen Verantwortung für den Frieden zu übernehmen.
II. Zeitlicher Rahmen und geeignete Orte
Vier Tage sahen wir als den idealen Zeitrahmen für eine Jugendbegegnung, die mindestens binational ausgerichtet sein sollte. Bei der prototypischen Planung bemerkten wir die starke Abhängigkeit vom jeweiligen Ort der Begegnung. Manche Aktivitäten und Projekte sind ortsgebunden und eine Generalisierung ist deshalb schwierig. Bei anknüpfenden Sitzungen könnte aus diesem Grunde die Planung für ausgewählte und möglichst exemplarische Zielorte sinnvoll sein.
III. Struktur und Themen der Tage
A) Thema 1. Tag: Politische Ausgangslage in Europa
Der erste Tag einer sich mit dem Ersten Weltkrieg befassenden Jugendbegegnung zum Ersten Weltkrieg könnte seine Ursachen in den Blick nehmen. Die europäischen Bündniskonstellationen und gegenseitigen Verpflichtungen können mit einem Planspiel, in dem die Jugendlichen in Gruppen die Rolle von Staaten übernehmen, begreifbar gemacht werden. Handlungsmöglichkeiten und Beschränkungen werden so verdeutlicht. Den Jugendlichen wird so klar, dass die damalige Eskalation durch menschliche Entscheidungen verursacht worden ist und kein unabänderliches Schicksal war.
B) Thema 2. Tag: Kampfhandlungen
Der zweite Tag könnte sich mit der Kriegsführung beschäftigen. Beispielsweise Besuche von Erinnerungsorten (Schlachtfelder, Denkmäler etc.) im nordfranzösischen und belgischen Raum wären möglich, bei denen die Jugendlichen mit einer Kamera ihre Eindrücke dokumentieren. Da sich der Erste Weltkrieg aber keineswegs auf die Westfront beschränkte, sind Besuche von anderen Erinnerungsorten und Gedenkstätten, beispielsweise an der Ostfront oder auf dem Balkan, eine gleichrangige Option. Besonders interessant sind Orte nationaler Mythenbildung, um sich dort mit Vereinfachungen und/oder Fälschungen tatsächlicher historischer Ereignisse auseinanderzusetzen. Sollte ein Besuch eines Erinnerungsortes nicht realisierbar sein, kann zum Beispiel auch die mediale Darstellung des Krieges während der damaligen Zeit reflektiert werden. Foto- und Filmaufnahmen können auf ihre Authentizität hin befragt werden. Handelt es sich um Dokumentation oder Inszenierung im damaligen Journalismus? Ab wann gab es Spielfilme, die den Ersten Weltkrieg zeigten? Wie wurde beispielsweise die Filmpremiere von „Im Westen nichts Neues“ aufgenommen?
C) Thema 3. Tag: „Alltag“ im Krieg
Der dritte Tag könnte sich dann dem Alltag im Krieg widmen, beziehungsweise dem, was Alltag durch den Krieg wurde. Die dramatische Versorgungslage in den am Krieg beteiligten Ländern, könnte durch das Kochen mit rationierten Lebensmitteln vermittelt werden. Lebensmittelkarten verwalteten den Mangel und das Zubereiten einer für die Kriegszeit typischen Mahlzeit wäre eine eindrucksvolle Erfahrung.
Man könnte auch die Tätigkeit von Frauen in Fabriken thematisieren. Die Wirtschaft diente erstrangig der Produktion von Rüstungsgütern und in den Fabriken arbeiteten mehr Frauen als in Friedenszeiten, da die männlichen Arbeitskräfte wegfielen, weil sie als Soldaten eingesetzt wurden. Eine Auseinandersetzung mit Erfahrungen, die von Frauen während dieser Zeit gemacht wurden, wäre also wünschenswert. Daran anknüpfen könnten sich auch Fragen der Emanzipation und politischen Partizipation von Frauen.
Besuche von zu Museen umgestalteten ehemaligen Fabriken wären möglich. Archivbesuche sind ebenfalls denkbar. Jedoch sollte man dabei darauf achten, dass den Jugendlichen mehr präsentiert wird als bloße Aktenberge. Die Einbettung in ein spannendes Erlebnis wäre wichtig.
Das Mitbringen von Feldpostbriefen und Ansichtskarten aus Familienbesitz, sofern vorhanden, wäre eine weitere Herangehensweise. In Regionen und Städten, die stark vom Ersten Weltkrieg geprägt worden sind, wie beispielsweise Lille, könnten Jugendliche auch in Antiquariaten Postkarten und Bildmaterial suchen. Ausgestattet mit einem kleineren Geldbetrag würden sie dann einige Dinge kaufen und später der gesamten Gruppe präsentieren.
Ein kreativer Ansatz wie das Verfassen eigener Karten, durch die Übernahme einer fremden Perspektive, kann sich daran anschließen. Dies setzt aber die vorherige Auseinandersetzung mit zeittypischen Dokumenten und Positionen voraus. Diese Karten würden dann selbstverständlich sowohl die Perspektiven der Soldaten, als auch die der Angehörigen reflektieren.
Die Erziehung von Kindern in Kriegszeiten könnte durch die Besuche von Spielzeugmuseen thematisiert werden. Wie sah beispielsweise das Kriegsspielzeug der Epoche aus? Welche Bilder wurden den Kindern vermittelt? War das Kriegsspiel in den Kinderzimmern ein Abbild des wirklichen Krieges? Wurden die neuen Kriegstechnologien, wie Panzer und Giftgas, in Kinderspielzeug transformiert? Oder herrschte ein eher anachronistisches Bild, mit Kavallerie und Degen, vor? Der Besuch eines Spielzeugmuseums könnte so die Lernerfahrungen des zweiten Tages der Jugendbegegnung, der sich mit der Kriegsführung befasste, aufgreifen.
Ein weiterer Themenschwerpunkt des dritten Tages könnte der damalige Protest gegen den Krieg sein. Leitende Fragenden wäre unter anderem: Gab es Kriegsgegner? Konnte sie ihren Protest öffentlich artikulieren? Mit welchen Konsequenzen mussten sie rechnen? Welche Besonderheiten gab es in den jeweiligen Ländern? Gab es Sabotage oder Streik?
Die recht umfangreiche Schilderung des dritten Tages der Begegnung und seiner denkbaren Schwerpunktsetzung macht besonders deutlich, dass eine Jugendbegegnung sehr stark an die Gegebenheiten des jeweiligen Zielortes angepasst werden muss. Dies bedeutet aber freilich auch, dass es viele geeignete Zielorte und ein großes Potential für Jugendbegegnungen gibt.
D) Thema 4. Tag: Kriegsfolgen
Der vierte und letzte Tag der Begegnung könnte sich mit den Folgen des Krieges auseinandersetzen, welche die politische Neugestaltung des Kontinents unter den wechselnden Vorzeichen der parlamentarischen Demokratie, des Sozialismus und des Faschismus betrifft. Ein konkretes Projekt für diesen Tag haben wir noch nicht erarbeitet. Eine vage Richtungsangabe der weiteren Diskussion ergibt sich vielleicht aus der Beschäftigung mit der Frage, welche Friedensutopien für Europa nach dem Krieg entstanden.